top
icon
X

Dikhen Amen

Vom April 2015 bis Dezember 2019 fand das Projekt “Dikhen amen! Seht uns!“ statt. Das Projekt wirkte bundesweit und wurde in enger Zusammenarbeit mit den Landesverbänden von Amaro Drom e.V. umgesetzt. Seine lokalen Schwerpunkte lagen in Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Südwestdeutschland.

Das Hauptziel von „Dikhen amen!“ war die Ausbildung jugendlicher Sinti*zze und Rom*nja zu Workshop-Teamer*innen. Im Rahmen ihrer Ausbildung erlernten die Jugendlichen Methoden zum Empowerment jugendlicher Rom*nja und Sinti*zze und zur Sensibilisierung für Antiziganismus. Zum Ende der Ausbildung waren die Jugendlichen dazu befähigt, selbst Workshops durchzuführen. Die Workshops richteten sich an junge Menschen in Jugendclubs, Jugendselbstorganisationen und anderen Bildungseinrichtungen.

Die Ausbildung junger Rom*nja und Sinti*zze zu Teamer*innen führte auch dazu, dass sie zu Vorbildern für andere Jugendliche wurden – und das nicht nur für junge Rom*nja und Sinti*zze. Durch das souveräne Auftreten der Teamer*innen wurden andere Jugendliche darin ermutigt, sich für ihre persönlichen Interessen und politischen Ziele einzusetzen.

Das Team von „Dikhen amen! Seht uns!“ (v.l.n.r.):
Anna Friedrich, Éva Ádám, Anita Burchardt

Kontakt

Éva Ádám (pädagogische Leitung)
Anna Friedrich (Projektleitung)
Anita Burchardt (Öffentlichkeitsarbeit)

Tel: 030-616 200 10

Amaro Drom e.V.
Prinzenstr. 84, Aufgang 1
10969 Berlin

Ein weiterer zentraler Bestandteil von „Dikhen amen!“ war das Empowerment junger Rom*nja und Sinti*zze. Unser Projekt unterstützte die Stärkung des Selbstbewusstseins, der Selbstorganisation und der gesellschaftlichen Teilhabe der Jugendlichen. „Dikhen amen!“ hatte also die Stärkung junger Sinti*zze und Rom*nja und die Sichtbarmachung ihrer unterschiedlichen Lebensrealitäten zum Ziel. Wir förderten aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit Antiziganismus bei Jugendlichen, die weder Rom*nja noch Sinti*zze sind.

Diese Ziele von „Dikhen amen!“ realisierten wir unter anderem durch regelmäßige, bundesweite Jugendbegegnungen. Den jährlichen Höhepunkt unseres Projektes bildete die Bundesjugendkonferenz, die in verschiedenen Bundesländern stattfand. Drei Tage lang kamen 100 Jugendliche aus ganz Deutschland auf der Bundesjugendkonferenz zusammen. Dort vernetzten sie sich, bildeten sich gegenseitig weiter und trieben die politische Selbstorganisation voran. In verschiedenen Workshops und einem vielfältigen Abendprogramm erhielten die Themen, welche für die Jugendlichen wichtig sind, ihren Raum. Die Bundesjugendkonferenz ist das größte bundesweite Zusammenkommen junger Rom*nja, Sinti*zze und weiteren Jugendlichen in Deutschland.

Handlungskonzept

Im Mittelpunkt des Projektes standen die Erfahrungen und Lebensrealitäten junger Rom*nja und Sinti*zze. Basierend auf dem Erfahrungswissen der Jugendlichen haben wir neue Methoden für die Jugendbildungsarbeit entwickelt. Viele dieser Methoden fördern das Empowerment junger Rom*nja und Sinti*zze. Andere Methoden ermöglichen es Jugendlichen, Antiziganismus zu erkennen und sich gegen ihn zu positionieren. Zum Ende des Projektes im Dezember 2019 erschien das Praxishandbuch von „Dikhen amen!“. Darin werden die Methoden, welche im Rahmen von „Dikhen amen!“ entwickelt wurden, einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Dass das Erfahrungswissen der Jugendlichen die Grundlage unserer Arbeit bildete, hatte Modellcharakter. Denn in den bisherigen Methoden zum Thema sind die Perspektiven junger Rom*nja und Sinti*zze kaum präsent.

Durch die intensive Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen des Projektes setzten wir stereotypen Bildern über Rom*nja und Sinti*zze eigene Identitätsentwürfe entgegen. Neben der Sichtbarmachung der unterschiedlichen Lebensrealitäten von Rom*nja und Sinti*zze zielte das Projekt also auch auf eine kritische Auseinandersetzung mit Antiziganismus in der breiten Öffentlichkeit ab.

Dies wurde zusätzlich durch die Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern des Projekts unterstützt: Dazu gehörten die Rosa-Luxemburg-Stiftung, das IDA-Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V., das feministische Archiv „RomaniPhen“, das Netzwerk für Demokratie und Courage im Saarland und die Alte Feuerwache – Jugendbildungsstätte Kaubstraße e.V.

Das Projekt wurde gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Es war eines von insgesamt neun Modellprojekten zum Themenschwerpunkt Antiziganismus. In den Jahren 2015 bis 2019 wurde das Projekt außerdem gefördert durch das Deutsche Kinderhilfswerk, das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Amadeu Antonio Stiftung, den Lush Charity Pot, die Bundeszentrale für politische Bildung, das Collegium Novum, den Fonds Soziokultur, die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein Westfalen, die Heidehof Stiftung, die Berliner Landeszentrale für politische Bildung, die Freudenberg Stiftung sowie mit Hilfe des Lars Day Preises – Zukunft der Erinnerung 2017, der von der Lars Day Stiftung und der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin vergeben wurde.

Premiere „So kheren amenca?! Für immer Urlaub!“

SO KHEREN AMENCA!? – FÜR IMMER URLAUB!
Arbeitstitel Become Refugee

Präsentation eines Theaterprojekts mit jugendlichen Rom*nja und professionellen Schauspieler*innen aus der Roma- und Sinti-Community

Die Präsentation fand am 5. Dezember 2017 um 20.30 im Studio Я  des Maxim Gorki Theaters statt und begeisterte das Publikum.

Regie Sandra Selimović Dramaturgie/Text Hanna AlTaher Projektleitung Joschla Weiß 

Projektassistenz Jasmin Ibrahim Regieassistenz Miriam Wagner

Mit Estera Iordan, Estera Stan, Ramona Rahimic, Alexandra Cobzaru, Adrian Ernst,

Joschla Weiß, Roxie Thiele-Dogan, Simonida Selimovic u.a.

Eine junge Tanzgruppe bereitet sich auf ihren Auftritt vor. Sie sind auf alles vorbereitet –

aber darauf nicht: Zwei der Crew-Mitglieder sollen abgeschoben werden.

Zwischen Angst vor dem, was kommt, und dem Drang weiterzumachen,

muss sich die Tanzcrew mit den Folgen abstrakter Gesetze auseinandersetzen, die zur persönlichen Bedrohung

werden. Regisseurin Sandra Selimović (im Gorki aktuell in Roma Armee zu sehen) entwickelt das Stück

mit jugendlichen Roma von Amaro Drom e.V. und

mit professionellen Schauspieler*innen aus der Roma- und Sinti-Community.

In Zusammenarbeit mit „Dikhen amen! Seht uns!“ / Amaro Drom e.V. und Romano Svato.

Gefördert durch den Fonds Soziokultur. Unterstützt von Aktion Mensch, Amadeu Antonio Stiftung,

Freudenberg-Stiftung und mit freundlicher Unterstützung der Alten Feuerwache e.V.

ZUR REZENSION ZUM THEATERSTÜCK VON HAJDI BARZ GEHT’S HIER

Bilder der Präsentation: © Nihad Nino Pušija

Rezension „So Kheren Amenca?! Für immer Urlaub!“

Foto © Nihad Nino Pušija

von Hajdi Barz

„Why are you coming here?“ ist nicht nur die erste Frage im Stück, sie ist auch ein Damoklesschwert in Geflüchtetenbiografien. Zu Beginn dieses Theaterabends hören wir diese Frage immer wieder von der Grenzpolizei, welche, verkörpert von Roxie Thiele-Dogan, wie eine Wand roboterähnlich immer wieder dieselbe Frage stellt. Ihr gegenüber steht eine verzweifelte Person gespielt von Simonida Selimović, die offenbar versucht einzureisen. Sie antwortet immer wieder, dass sie doch nur zu ihrer Familie wolle. Nachdem sie es in verschiedenen Sprachen versucht hat und weder eine ruhige Antwort, noch eine schreiende, noch Theater oder Tanz das herzlose Grenzregime erreichen, ist die Verzweiflung vorbestimmt. So scheint es als ob es keine Antwort gäbe, die Gehör findet und dass die starr blickende, einfallslose, mächtige Grenzpolizei in den Abgelehnten nicht nur Wut und Frust produziert. Auch Kreativität, Selbstliebe und Stärke wird demonstriert. Diesem symbolisch starken Auftakt bleibt das Stück treu, in welchem das Spannungsfeld zwischen einem kalten, herzlosen Asylsystem und den vielfältigen Überlebensstrategien geflüchteter Rom*nja und ihrem Umfeld komplex thematisiert wird.

Das Stück, inspiriert von der wahren Geschichte der Brüder Gzim und Ramis Berisha, erzählt die Geschichte der jugendlichen Emmy (gespielt von Estera Stan) und ihrem Bruder Miloś (gespielt von Adrian Ernst). Es erzählt von Kindern, die ohne Eltern abgeschoben werden, Müttern, die zuhause an der Bürokratie wahnsinnig werden, Solidarität trotz Armut und der Absurdität, in ein unbekanntes Land abgeschoben zu werden. Das Stück besticht, weil es sowohl jugendlichen Alltag mit ersten Verliebtheiten, wichtigen Tanzchoreografien als auch das Schicksal der Abgeschobenen verwebt. In dem Stück gelingt es, eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Abschiebungen aus der raren Perspektive der Abgeschobenen zu gestalten. Nicht nur Originalvideos, welche für das Stück in Priština entstanden, auch persönliche Erfahrungen flossen in diese Auseinandersetzung und so gelingt es ein Stück zu schreiben, welches einen klaren Blick aus aktivistischer, romani Perspektive auf das Asylsystem in Deutschland wirft. Der Titel So Kheren Amenca?! – auf Deutsch Was macht ihr mit uns?! kombiniert mit dem Untertitel Für immer Urlaub! beschreibt wunderbar die Diskrepanzerfahrungen zwischen Entmündigung und Gewalt einerseits, welche auf Romanes gesagt unsichtbar bleibt für ein deutschsprachiges Publikum und dem naiven Blick auf Abschiebungen als einen Urlaub. Wie die Dramaturgin Hanna AlTaher es formuliert, ist der Untertitel zynisch. Gzim und Ramis Berisha wurden abgeschoben in ein Land, in dem sie vorher noch nie waren, ebenso wie unsere Protagonist*innen in So Kheren Amenca?! Die Themen Verrücktheit, Verzweiflung, das Leben mit der Duldung, das Gefühl fremd zu sein, sollen das Publikum aufrütteln. Das Stück ist eine der wenigen Repräsentationen von romani Erfahrungen, aber auch des Themas Abschiebung an deutschen Theatern.

Obwohl das Bühnenbild mit einem Holzquader einfach gehalten ist, verwandelt sich die Bühne mit einem Beamer und ein wenig Rauch in Sekunden zu einem überfüllten Auto auf einer jugoslawischen Autobahn zu einem überfüllten serbischen Warteraum oder dem Bett, in dem die Angst vor der Abschiebung lauert.

Auch bei den Kostümen bleibt es einfach. Ohne ihre Schauspieler*innen sähen diese nur aus, wie Klischees. Es ist aber dank der schauspielerischen Leistung eine Freude sich ebendiese Bilder anzusehen. Die junge Alexandra Cobzaru zeigt in ihrem Schauspieldebut eine Rollenvielfalt von der viele eingesessene Schauspielerinnen nur träumen können. In Minuten schlüpft sie von der Rolle der alten Oma in einen tanzenden Jugendlichen in einer wunderbaren Weise. Es war im Hinblick auf die schauspielerische Leistung ein Theaterdebüt der Extraklasse, welches im Dezember im Gorki Studio uraufgeführt wurde. Obwohl die sehr unterschiedlichen Amateurschauspieler*innen im Ensemble meist vorher keinerlei Tanzerfahrungen hatten, lernten sie in nur zwei Tagen grundlegende Tanzschritte mit dem Künstler Safet Mistele und belebten damit die Geschichte. Die zumeist jugendlichen Schauspieler*innen schaffen es unter der künstlerischen Leitung von Joschla Weiß und Sandra Selimović eine bunte, aufrüttelnde Collage vom Umgang mit Abschiebung zu erzählen.

Die 12-jährige Estera Stan kann ein ganzes Theater zum Lachen bringen, wenn sie als Emmy ein Stück Neukölln auf die Bühne bringt. Aber auch wenn Estera Iordan in ihrer Rolle ist und alle Tanzversuche unterbricht, weil es „megapeinlich“ ist, erinnert sich so manche Theaterbesucherin an die eigenen Herausforderungen in der Jugend. Das Stück schafft es, komisch zu sein, Empathie herzustellen und gleichzeitig die Gewalt der Unsicherheit darzustellen.

Joschla Weiß als Mutter der Abgeschobenen macht in einem sprunghaften Monolog die Bedeutung der Post von der Ausländerbehörde in all ihrer Unverständlichkeit und bürokratischen Kälte für die Zuschauer*innen erfahrbar. Das Zermalmende Gefühl der Angst vor der Abschiebung wird deutlich, wenn die Mutter in einer schlaflosen Nacht durch ihr Zimmer jagt und immer schneller die Post liest, welche ihr letztendlich befiehlt aus dem Fenster zu springen. In nur wenigen Minuten erzählt diese Szene den psychischen Terror, den Menschen ausgesetzt sind, wenn sie nicht wissen welche Zukunft sie und ihre Liebsten haben, sie erzählt davon, wie es Menschen krankmacht und wie zermürbend die Bürokratie sein kann. Die andere Mutter verkörpert eine Rolle, die von Resilienz erzählt. Sie analysiert, dass das Ziel ebendieser Prozesse einer von Machterhalt ist und dass Stolz und Widerständigkeit darin gefragt sind. So kann man sie sagen hören: „Die wollen uns klein machen, aber so schnell gebe ich nicht auf“. Ein paar Szenen später werden die Jugendlichen zu Aktivist*innen, wenn sie aus Freundschaft und Menschlichkeit Gesetze brechen, um Abschiebungen unmöglich zu machen. Das Stück feiert die Vielfalt des Widerstandes und der Solidarität.

Das Stück ist mehrsprachig und modern; es bedient sich dem James Bond Thema, der Sommerhit „Despacito“ wird in drei Sprachen gesungen und choreographiert, die Raps der Schwestern Selimović werden performt und die Bassmusik von Fanfare Ciocarlia umrahmt die Geschichte. Romani Vielfalt und Schönheit ersetzt hier ganz selbstverständlich die homogenisierenden, rassistischen Bilder, welchen auch die Schauspier*innen ausgesetzt sind. Die Atmosphäre im Theater war herzlich, die Mischung aus Aktivist*innen, Müttern und bürgerlichen Theaterbesuchern des Gorkis schufen einen herzlichen, nachdenklichen und warmen Rahmen für das Theaterstück.

Das Stück verharrt nicht in der Ohnmacht. Es zeigt all die Wege, mit denen Menschen dem Asylsystem entgegnen. Vom Einbruch in die Ausländerbehörde, bis zur Antragsstellung in einer korrupten serbischen Behörde wird ein kreatives, widerständiges Bild von geflüchteten Rom*nja, solidarischen Mädchen* of Color und einem Aktivismus, der aus Notwendigkeit entsteht, gezeichnet.  So hoffen wir mit den Worten der Spielleitung Joschla Weiß, dass dieses Stück auf so vielen Bühnen wie möglich gespielt wird und dass dieses Ensemble weiterarbeiten kann und die eigene Geschichtsschreibung weiterhin so humorvoll, berührend, rau, ehrlich, kreativ, dokumentarisch und tänzerisch voranbringt.

Alles in allem kann gesagt werden, dass das Stück es schafft, das schwere Thema der Abschiebung ohne Mitleid und Pathos zu erzählen. Mit seinem jugendlichen Charme, der geballten Frauenpower* und den witzigen Choreographien auf der Bühne ist das Stück energievoll und schafft es sogar zu empowern, weil es pointiert und positioniert eine kritische Haltung gegenüber dem herrschenden Asylsystem bezieht. Als Ramis Berisha im Interview sagt „man kann halt auch nicht immer trauern“ fasst es zusammen, warum wir eine Komödie zu dem Thema gebraucht haben, als Community aber auch als Aktivist*innen. So bleibt es wichtig, auch in schwierigen Situationen Lebensfreude zu erhalten.

„Dikhen amen! Seht uns!“ gewinnt Lars Day Preis 2017

Das Amaro Drom-Projekt „Dikhen amen! Seht uns!“ hat den diesjährigen „Lars Day Preis – Zukunft der Erinnerung“ gewonnen. Der Lars Day Preis wird von der Lars Day Stiftung und der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin vergeben. Mit dem Preis werden Organisationen, Vereine, Initiativen und Einzelpersonen ausgezeichnet, die gemeinsam mit jungen Menschen an national­sozialistisches Unrecht und weitere Verbrechen gegen die Menschheit erinnern und sich dabei für den Erhalt der Demokratie und für ein gleichberechtigtes Zusammenleben in Vielfalt einsetzen.

Ausgezeichnet wurde die Jugendbegegnung „Dikh angle! Nach vorne schauen!“, die 2017 erstmals in Kooperation mit dem feministischen Archiv „RomaniPhen“ realisiert wurde. Die Preisverleihung fand am 7.11.2017 in der Akademie des Jüdischen Museums Berlin statt. Den Preis entgegengenommen haben Amaro Drom-Vorstandsmitglied Denis Petrovic, Projektteilnehmer Emanuel Barica und die ehemalige pädagogische Leiterin des Projekts „Dikhen amen!“ Joschla Weiß.

Fotografin / Copyright: Jule Röhr

Jugendbegegnung „Dikh angle!“ 2017

Junge Rom*nja und Sinti*zze begegneten sich anlässlich des Genozid-Gedenktages 2. August in Berlin

Vom 31. Juli bis 3. August 2017 fand bereits zum dritten Mal die Veranstaltung „Dikh angle! Nach vorne schauen!“ in Berlin statt. Die Jugendbegegnung zum Gedenktag 2. August beschäftigt sich mit der Frage was die Verfolgungsgeschichte und die Kämpfe der Bürgerrechtsbewegung für junge Rom*nja und Sinti*zze heute bedeuten. 2017 wurde die Veranstaltung erstmals in Zusammenarbeit mit dem feministischen Archiv „RomaniPhen“ organisiert. Unter dem Motto „Dikh angle! Nach vorne schauen!“ kamen über 20 junge Rom*nja aus Berlin und weiteren Bundesländern zusammen.

Am 1. August besuchten die Teilnehmenden einen Workshop zum Thema Verfolgungsgeschichte, Völkermord und Bürgerrechtsarbeit. Der Workshop wurde von der Bürgerrechtlerin Anita Awosusi und Isidora Randjelovic durchgeführt. Anita Awosusi ist Bürgerrechtlerin der ersten Stunde. Ihr Vater Hermann Weiß hat Auschwitz überlebt. Über sein Leben hat sie das Buch „Vater unser!“ geschrieben. Isidora Randjelović leitet das feministische Romani Archiv RomaniPhen. Außerdem schreibt und lehrt sie zu Rassismus gegen Rom*nja, Selbstorganisierung sowie Empowerment.

Im Workshop der beiden Aktivist*innen vertieften die Jugendlichen ihr Wissen über die Geschichte der Verfolgung und diskutierten was Widerstand für sie bedeutet. Die fünfzehnjährige Teilnehmerin Vahide erklärte, dass für sie Widerstand auch sei nachzufragen, zu diskutieren und aufzuklären: „Ich habe mal erlebt, dass ein Junge mich und meine Freunde immer wieder ‚Zigeuner‘ genannt hat“, erzählte sie. „Ich bin hingegangen und habe ihn gefragt, ob er überhaupt weiß, was das bedeutet. Dann habe ich ihm erklärt, dass das Wort eine Beleidigung ist.“

Auf die Frage, warum die Verfolgungsgeschichte für junge Rom*nja und Sinti*zze heute eine Rolle spiele, antwortete der zwölfjährige Teilnehmer Rayyan: „Weil wir damals verfolgt wurden und heute immer noch diskriminiert werden.“ Andere Teilnehmende erklärten, es sei für sie wichtig zu verstehen, was ihren Vorfahren damals passiert sei und warum es passiert sei.

Am Vormittag des 2. August fuhren die Jugendlichen an einen zentralen Ort der Verfolgung der Berliner Sinti*zze und Rom*nja. Am ehemaligen Zwangslager Marzahn wurde im Jahr 2011 ein Ort der Erinnerung und Information eingeweiht. Die Jugendlichen erarbeiteten Präsentationen zu den dort ausgestellten Biografien, zu denen die Geschichte des Auschwitz-Überlebenden und Bürgerrechtlers Otto Rosenberg gehört. Am Abend des zweiten Augustes besuchten die Teilnehmenden die Gedenkveranstaltung „… Ohne Worte … Keine Tränen.“ am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas.

Joschla Weiß arbeitet als pädagogische Leiterin im Projekt „Dikhen amen! Seht uns!“. Das Ziel der Jugendbegegnung zum 2. August fasste sie folgendermaßen zusammen: „Aus dem Blick in die Vergangenheit können wir lernen, wie mit dem Genozid umgegangen wurde, wie er verarbeitet wurde und welche Stärken daraus entstehen mussten. Von der Beschäftigung mit der Bürgerrechtsarbeit geht eine große Kraft aus, denn es geht dabei um Widerstand. Es ist wichtig, sich zu erinnern und gleichzeitig den Blick nach vorne zu richten.“

Genozid-Gedenktag 2. August

In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurde in Auschwitz-Birkenau das Lager, in dem Sinti*zze und Rom*nja inhaftiert waren, aufgelöst. Nachdem alle als arbeitsfähig eingestuften Gefangenen nach Deutschland zur Zwangsarbeit deportiert wurden, ermordeten SS-Angehörige in der Nacht auf den 3. August 1944 die fast 3.000 verbliebenen Rom*nja und Sinti*zze in Gaskammern – darunter vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen. Aus diesem Grund finden jedes Jahr am 2. August in Berlin und ganz Europa Gedenkveranstaltungen statt. Insgesamt wurden während des Nationalsozialismus 90 % der europäischen Rom*nja ermordet (ca. 500.000 Menschen). Über 20 Jahre lang haben Sinti- und Roma-Aktivist*innen für die Errichtung eines Denkmals gekämpft. Im Jahr 2012 wurde das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin eingeweiht.

Presse bei der Jugendbegegnung

Die Presseeinladung vom 25.7.2017 zur diesjährigen Jugendbegegnung stieß auf Interesse. Beim Besuch des Ortes der Erinnerung und Information am ehemaligen Zwangslager Marzahn, interviewte die slowakische Filmemacherin Paula Durinova einige der Teilnehmer*innen. Die Interviews mit den Teilnehmenden wurden am 5. Oktober 2017 im Rómsky Magazín „Sam Khere“ im RTVS (Slowakisches Staatsfernsehen) ausgestrahlt und können HIER angesehen werden (ab Minute 17:20). Auch Milan Swarowsky von der Amadeu Antonio Stiftung sprach vor Ort mit den Teilnehmer*innen und verfasste den Artikel „Es ist sehr emotional, wir sind hier mit gemischten Gefühlen“ für die Webseite und den September Newsletter der Stiftung. Merfin Demir, Ko-Vorstandsvorsitzender von Terno Drom, gab ein Live-Interview zur Bedeutung des Gedenktages 2. August bei Cosmo Radio. Am 3.8.2017 erschien im Neuen Deutschland der Artikel „Roma und Sinti kämpfen gegen das Vergessen“ über die Jugendbegegnung. Im Oktober erschien außerdem ein Artikel über die Veranstaltung in der Berliner Bildungszeitschrift bbz der GEW, der HIER gelesen werden kann.

Das Projekt „Dikhen amen! Seht uns!“ wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Der Fonds Soziokultur, die Heidehof Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Amadeu Antonio Stiftung und das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen übernehmen für das Jahr 2017 die Kofinanzierung. Die Berliner Landeszentrale für politische Bildung ermöglichte hauptsächlich die Umsetzung der Jugendbegegnung „Dikh angle! Nach vorne schauen!“ im Jahr 2017.

Dikhen Amen beim Nationalen Integrationspreis

Das Amaro Drom-Projekt „Dikhen amen! Seht uns!“ wurde vom Bundesjugendring als Kandidatin für den Nationalen Integrationspreis 2017 vorgeschlagen. Am 17.5.2017 hat Joschla Weiß, die pädagogische Leiterin von Dikhen Amen, das Projekt auf der Preisverleihung im Bundeskanzleramt vertreten. Ihr findet sie auf dem Gruppenfoto ganz links in der zweiten Reihe. Mehr Infos zum Nationalen Integrationspreis gibt es HIER.

Foto: Bundesregierung / Guido Bergmann

Kurzfilm über Dikhen Amen

Auf der Bundesjugendkonferenz 2016 wurde ein Film über die Arbeit von Amaro Drom im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gedreht, der nun fertig geworden ist.

Der fünfminütige Kurzfilm des Bundesministeriums für Familie, Soziales, Frauen und Jugend (BMFSFJ) stellt das Projekt „Dikhen amen! Seht uns!“ vor. Gleichzeitig fängt der Film die Stimmung auf der größten bundesweiten Veranstaltung junger Rom*nja und Sinti*zze in Deutschland ein. Die Bundesjugendkonferenz wird jedes Jahr vom Bundesverband Amaro Drom in Zusammenarbeit mit einem der vier Landesverbände organisiert. 2016 fand die Bundesjugendkonferenz in NRW statt und wurde gemeinsam mit dem Nordrhein-Westfälischen Landesverband Terno Drom organisiert.

Neben der Vorstandsvorsitzenden Gabriela Bot, kommen im Film auch die Co-Vorstandsvorsitzende von Terno Drom, Ismeta Stojkovic sowie drei der Workshop-Teamer*innen und zwei junge Teilnehmer*innen zu Wort. Der Film des BMFSFJ kann hier angesehen werden

Ein ausführlicher Bericht und Bilder von der Bundesjugendkonferenz 2016 finden sich HIER.

Der Film über Amaro Drom e.V. wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Soziales, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ produziert.

Das Projekt „Dikhen amen Seht uns!“ wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Es ist eines von insgesamt neun Modellprojekten zum Themenschwerpunkt Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze. Der Fonds Soziokultur, die Heidehof-Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Amadeu Antonio Stiftung und das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW übernehmen für das Jahr 2017 die Kofinanzierung.

Dikh Angle! – Nach vorne schauen!

Vom 31. Juli bis 3. August 2016 fand im Rahmen des Amaro Drom-Projektes „Dikhen amen! Seht uns!“ zum zweiten Mal die Veranstaltung „Dikh angle! Nach vorne schauen!“ statt. Anlass der Veranstaltung ist der Gedenktag 2. August, an dem den Opfern des Pharrajmos, dem Genozid an den Sinti*ze und Rom*nja während des Nationalsozialismus, gedacht wird.

Aus mehreren Bundesländern reisten junge Rom*nja und Sinti*ze nach Berlin, um sich im Rahmen eines Workshops, eines Ausstellungsbesuches und einer Filmvorführung mit der Geschichte der Verfolgung und des Massenmords an den Sinti*ze und Rom*nja auseinanderzusetzen und um gemeinsam zu diskutieren und einander zu stärken im Umgang mit der Geschichte und ihren Folgen.

Die Gedenkveranstaltung „Mare Manuschenge – Unseren Menschen“ am Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas hat die jungen Teilnehmer*innen sehr bewegt. Die Rede des Auschwitz-Überlebenden Leon ‚Henry’ Schwarzbaum, der den 2. August 1944 in Auschwitz-Birkenau miterlebt hat und von den Schreien der Kinder berichtete, die bis zum Morgengrauen andauerten, haben ihn ins Herz getroffen, antwortete ein Teilnehmer auf die Frage was er mitnehme von den Tagen in Berlin.

Nach vorne schauen!

Neben der Beschäftigung mit dem Pharrajmos soll die Veranstaltung den Jugendlichen die Gelegenheit geben, sich mit anderen jungen Sinti*ze und Rom*nja über den Umgang mit diesem Teil ihrer Geschichte auszutauschen. Die Bewältigung der Folgen und Kontinuitäten der Diskriminierung von Rom*nja und Sinti*ze nach 1945 und bis heute spielt dabei eine wichtige Rolle. Damals wie heute bildet der Rassismus gegen Sinti*ze und Rom*nja die Grundlage für ihre Stigmatisierung, Marginalisierung und ihren sozialen Ausschluss in Deutschland und fast allen europäischen Staaten.

Zudem sind viele der Jugendlichen nicht nur Urenkelkinder und Enkelkinder von Überlebenden des Pharrajmos, sondern auch Kinder von Menschen, die vor den Balkankriegen in den 90er Jahren oder vor deren Folgen nach Deutschland fliehen mussten.

Die Angst vor der Abschiebung in vermeintlich „sichere Herkunftsländer“, in denen insbesondere Rom*nja Armut und massive Diskriminierung droht, war ein wiederkehrendes Thema in den Diskussionen.

Ebenso wie das Gefühl der Ungerechtigkeit, dass die Nachfahren der Überlebenden heute noch immer gegen strukturellen Rassismus und für den Erhalt ihrer hart erarbeiteten Lebensperspektiven in Deutschland kämpfen müssen. Es herrscht Unverständnis darüber, dass all das Leid, scheinbar nichts verändert hat: „Warum bekommen wir keinen Aufenthalt? Wie können sie uns das antun, nach allem was geschehen ist?“ fragte eine Teilnehmerin.

„Geschichte wiederholt sich. Wir müssen uns damit beschäftigen, denn nur so können wir daraus lernen um zu verhindern, dass es wieder passiert!“ sagte ein Teilnehmer. Dem stimmten die meisten zu. Nicht alle der Jugendlichen haben diesbezüglich eine Wahl, denn für einige von ihnen ist eine Kontinuität der Verfolgungsgeschichte, die systematische Ausgrenzung von Rom*nja, bereits Realität.

Trotz des schweren Themas waren die gemeinsamen Tage in Berlin für die Teilnehmer*innen aber auch ein Ort um Jugendliche aus anderen Städten und Regionen kennenzulernen, Spaß zu haben und gemeinsam Berlin zu erkunden. Mehr über die Geschichte des eigenen Volkes zu lernen habe sie traurig gemacht, aber es gäbe ihr auch Kraft, schrieb eine Teilnehmerin in der Feedback-Runde der Veranstaltung.

Gedenktag 2. August

Der 2. August ist der Gedenktag für den Pharrajmos – den Massenmord an den Rom*nja und Sinti*ze im Nationalsozialismus. Nachdem alle als arbeitsfähig eingestuften Sinti*ze und Rom*nja zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurden, wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 fast 3000 Rom*nja und Sinti*ze im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Dies traf vor allem Kinder, alte Menschen, kranke Menschen und Frauen. Jedes Jahr finden deshalb Gedenkveranstaltungen an diesem Tag statt.

Junge Roma und Sinti reisten zum Gedenktag 2. August nach Berlin

Im Rahmen des Projektes „Dikhen amen! Seht uns!“ reisten junge Roma und Sinti vom 31. Juli bis zum 2. August 2015 aus ganz Deutschland nach Berlin, um sich mit der Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen und um an den verschiedenen Gedenkveranstaltungen zum 2. August teilzunehmen.

Am Sonnabend den 1. August nahmen die Jugendlichen an einem Stadtrundgang zum Thema „Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus“ teil, der vom Rroma Informations Centrum organisiert wird und von Jugendlichen durchgeführt wird. Am 2. August besuchten sie die Ausstellung „Transmitting Trauma“ in der Galerie Kai Dikhas und die Gedenkveranstaltung „Phagedo Dschi – Zerrissenes Herz“ am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas.

Neben den Veranstaltungsbesuchen haben sich die Jugendlichen in mehreren Workshops intensiver mit der Verfolgungsgeschichte der Roma und Sinti und mit heutigen Diskriminierungserfahrungen auseinandergesetzt. Die Jugendlichen reflektierten ihre eigene Familiengeschichte und stellten Verbindungen zu ihrer Lebenswirklichkeit her. Die Mehrheit von ihnen teilt die Geschichte des Völkermords und heutige Diskriminierungserfahrungen. Damals wie heute bildet der Rassismus gegen Roma und Sinti die Grundlage für ihre Stigmatisierung, Marginalisierung und ihren sozialen Ausschluss in Deutschland und fast allen europäischen Staaten. Die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Geschichte und das Gefühl der Verbundenheit mit anderen Jugendlichen soll die Jugendlichen stärken und ihnen dabei helfen nach vorne zu schauen.

Atschass thai Gjiass – virtueller Comic

Damit hätte niemand gerechnet:

Der Bundestag lädt den Jugendverband Rromanistan zu einem Gespräch ein, über das Bleiberecht junger Rroma und ihrer Familien. Sie wollen, dass alle Roma bleiben.

Da es aber in Deutschland aufgrund dieser Entscheidung des Bundestages immer mehr Roma geben wird, die bleiben wollen, hat der Jugendverband Romanistan, allen voran der Anführer Ninjakovic, eine Crew ins Leben gerufen, die die Abschiebungspolitik junger Rroma anschieben wollen, indem sie nach Gründen recherchieren, warum ein Leben in Deutschland nicht erstrebenswert ist. Insgeheim wollen sie den Platz für sich allein. Damit treten sie bewusst gegen die Position von Amore mio e.V. ein, der für ein radikales Bleiberecht für alle Rroma kämpft…

Klickt auf das Bild um zum virtuellen Comic zu kommen:

Die Videos, die im Comic verlinkt sind und mehr Bilder und Infos zur Performance findet ihr auf Facebook und in der Pressemitteilung.